Ein Eulenspiegel-Projekt
nach dem Volksbuch von Hermann Bote
und dem Eulenspiegelroman "Bracke" von Klabund
Premiere 21. Dezember 2013
Till 1: Der Punk Auch: Alter Till, Anne 1, Nadya, Vogelmädchen, Grieta u. a. Judith Bopp
Till 2: Der Entertainer Auch: Nonne, Bürger u. a. Denis Fink
Till 3: Der Rebell Auch: Pfaffe, Patin, Bürgerin u. a. Sven Schöcker
Till 4: Der Dunkle Auch: Doktor, Claus, Anne 2, Bürger, Kurfürst u. a. Sebastian Kalhammer
Till 5: Der Musikus Auch: u. a. Marcus Tronsberg
Regie Andreas Seyferth Regieassistenz Astrid Polak Eva Maria Reichert Raum Aylin Kaip Kostüm Johannes Schrödl Licht Jo Hübner Fassung + Dramaturgie Margrit Carls
Einen Mann hat Deutschland jeder Nation voraus: Till Eulenspiegel. J. C. L. Haken, 1791
Till Eulenspiegel: Fahrender, Schalksnarr, Seiltänzer, Gaukler, Tagelöhner, Nichtsnutz, Provokateur, Tabubrecher, Witz- und Wahrheitsverkäufer, Outcast, Rebell, Ausbeutungs-Gegner, Fäkal-Virtuose, Auf-Alles-Scheißer, auch mal Opfer: Seine Rollen sind Legion. Held auf dem Schlachtfeld der Leichtgläubigkeit. Lebendiger Geist, der Starres aufmischt und zwanghaft Grenzen übertritt. Seine Weisheit: Spann dein Seil! Liebster Aufenthaltsort: Jenseits kleinbürgerlicher Moral und staatsgewaltiger Maßregeln (und darum insgeheim beneidet von Bürger und Machtmensch). Motti: Muße statt Maloche. Allzeit fluchtbereit. Schau, dass du stets als Letzter lachst. (Mit ihm lacht, wer ihm nicht zum Opfer fiel…)
Der Volksbuch-Ur-Till (~1510): Gewiefter Bauernsohn, der sich als Lonesome Rider von Beschiss zu Beschiss, Land & Leute spiegelnd, durchs frühbürgerliche (Über-)Leben kämpft. Klabunds Eulenspiegel Bracke (1918): Reflektierter Narr mit Hang zum Übersinnlichen, zu Damen und den "Ehrlosen", der sich an seinem Herrscher festbeißt.
Bei uns im "Viel-Lärm-um-Nichts-Zirkus" der Zeiten gelandet: Spiegelnd selbstverständlich auch das Heute. Wobei: würde einer wie "Seiltänzer" Till in unserer engmaschigen, nischenarmen Gesellschaft auch nur ein Bein auf den Boden kriegen – außer draußen vor der Tür oder drinnen in der Klapse?
"TILL mein Name. Eigentlich Tilldrick. Was soviel heißt wie Dietrich.
Nach- und Beiname Eulenspiegel. Auch Ulenspegel.
Die Eule steht für meinen IQ, der Spiegel für Kuck ma rein.
Zu dem Zweck lüfte ich auch gerne meinen Popo,
denn Ulen heißt FegenWischenKehren
und Spiegel in der Jägersprache ist eben genannter Popo,
im Ganzen: Kehr mir den Popo, wisch mir den Arsch."
Wer ist Till Eulenspiegel? Im Laufe der Jahrhunderte sind immer wieder Antworten gesucht und gefunden worden. Man bezeichnete Till als Narren und sah in ihm den Dummen und den Törichten, den Schelmen und den Hanswurst, den gemeinen Spötter, doch auch den reinen Tor. Einige klassifizierten ihn als Skeptiker und Zyniker, andere als Wahrheitsfanatiker und Zeitkritiker. Man ernannte ihn zum Erzieher und zum sozialen Aufrührer und bisweilen sah man in dem Helden des Volksbuches sogar den Weisen. Manches Mal hat ein liebevoll umgehängtes Mäntelchen den wahren Charakter Tills verdeckt, der sich schillernd und vielseitig im Volksbuch offenbart. […] Till war ein Schalk in jeder Hinsicht, "sowohl ein grober, arglistiger Betrüger, als auch eine Person, welche andere durch ein unschuldig erscheinendes Betragen nur im Scherze zu hintergehen suchte." Wolfgang Lindow: Der Narr und sein Publikum, 1971
Klabundbürgerlich Alfred Henschke
Sein erfolgreichster Roman war "Bracke",
sein meistgespieltes Theaterstück "Der Kreidekreis" –
Vorlage für Brechts "Kaukasischen Kreidekreis".
Marcel Reich-Ranicki über den mit 37 Jahren an Tuberkulose Verstorbenen:
"Er war ein unermüdlicher Vielschreiber. Alle Stile waren ihm recht. Im Wettlauf mit dem Tode dichtete er sein Leben und lebte er seine Dichtung. Ein Gehetzter und Verlorener, ein Taumelnder ließ er seinen Weg bis zuletzt von poetischer Phantasie bestimmen. Klabunds Poesie ist so vielseitig wie seine Lyrik und seine Prosa. Seine Verse sind zart und derb, sensibel und vulgär. Man sang Klabund am Kurfürstendamm und in allen Luxushotels, er wurde in den elendsten Berliner Vororten und in den Obdachlosenasylen gelobt und gerühmt. Ganz Berlin deklamierte auf seine Weise „Ich baumle mit de Beene, / Mit de Beene vor mich her.“ Immer wieder gelingt ihm die Verbindung des Schwermütigen mit dem Flotten und des Graziösen mit dem Kessen."
Marcel Reich-Ranicki, 2010, faz.net.
PRESSESTIMMEN
Wild, anarchisch und erfrischend aufrichtig
[...] Margrit Carls' Bühnenvorlage startet mit dem derben Possenreißer, der unterhalten und überleben will. Er teilt gewaltig aus, muss aber auch schwer einstecken. Die vier Darsteller entfesseln veitstanzartige Szenen mit rüden Späßen, voller Hinterlist und Verachtung. Doch Eulenspiegel entwickelt sich, bekommt Charakter und verteilt seine Missgunst wählerischer. Schließlich können ihn seine fäkalvirtuosen Streiche selbst nicht mehr beglücken und er stellt sich in Frage. Eulenspiegel wandelt sich [...]. In Margrit Carls Text wird es nun zunehmend politischer und heutiger. Doch es bleibt immer poetisch. Marcus Tronsberg bediente ein närrisches Orchester, einen Klangapparat aus seltsamsten Geräten. Schaute man hin, war man verblüfft über die z.T. lächerlich anmutende Vielfalt von Geräuscherzeugern. Schaute man weg, hörte man ein ganzes Filmorchester. Auch er sprang ein als Till E., der ja, siehe Titel, gesucht wurde. Judith Bopp war der clowneske Till, sprunghaft, stets in Bewegung und mit wunderschönen großen, häufig traurigen Augen. Denis Fink verkörperte den Till als Rampensau, stets das Licht der Anerkennung suchend, getrieben von Existenzängsten, allzeit erbötig auf niedrigstem Niveau zu balancieren. Sebastian Kalhammers Till war hintergründig und gelegentlich auch bedrohlich. Sven Schöcker gab den zerrissenen, aufbegehrenden Till, der naturgemäß durch die dunkelsten Höllen gehen musste. Er fand ein Weib, dass ihm vom Fürsten, dem er als Narr diente, wieder genommen wurde. Es war unmöglich, den einen Till zu finden. Wie auch, denn Till war und ist der Kosmos des Widerstandes, dem viele Wesensarten eigen waren. Regisseur Andreas Seyferth, er bewies einmal mehr sein gutes Händchen für bestes "Volkstheater", führte das Premierenpublikum ein in das Universum vielfältigster Figuren. Er siedelte dieses Universum auf der kleinen Bühne des ewigen Jahrmarkts an, bestehend aus Leitern und Laufbrettern (Aylin Kaip). Es war inhaltlich wie auch darstellerisch ein permanenter Akt der Äquilibristik. Die Lumpen der "mittellosen" Akteure waren so bunt wie die charakterlichen Facetten des Till E. Der Abend war ein Feuerwerk aus geschmacklosen Hanswurstiaden, brillanten Miniszenen und philosophischen und poetischen Bonmots. Es war wild und anarchisch und Unterhaltung vom, zugegeben, nicht immer Feinsten. Aber es war erfrischend ehrlich und bodenständig. Allen Beteiligten gebührt hohes Lob. Bleibt zu hoffen, dass dieses, in seiner Art selten gewordene Theaterereignis, von vielen Besuchern wahrgenommen wird. Es lohnt sich! Wolf Banitzki / theaterkritiken.com
Genie oder Narr? – Das Theaterprojekt "Gesucht: Till E." in der Pasinger Fabrik
Er ist quasi ein deutscher Volksheld und wohl eine der bekanntesten literarischen Figuren der Welt. [...] Dabei stellt jeder der Darsteller eine andere Seite derselben Person dar. Judith Bopp spielt den sterbenden Eulenspiegel, der trotzdem noch die Obrigkeiten und Frommen an der Nase herumführt, sowie das Kind, das Probleme hat in der Gesellschaft Fuß zu fassen und deshalb als Artist Aufsehen erregen will. Denis Fink ist der Entertainer Eulenspiegel, führt aber auch als Moderator in Ich-Perspektive durch den Abend. Er bildet sozusagen den roten Faden der Inszenierung. Sven Schöcker zeigt das Leben des Protagonisten als tiefgründiger Narr am Hof eines tyrannischen Kurfürsten. Er hält dem Herrscher einen Spiegel vor und verpackt harte Kritik in seiner Spaßmacherei. Einen müden und niedergeschlagenen Till schließlich verkörpert Sebastian Kalhammer. Dieser findet in einem jungen Gaukler wieder neuen Lebenswillen. Unterstützt werden die Schauspieler vom Musiker Marcus Tronsberg, der ab und an auch auf die Bühne geht und mitspielt. [...] Alles in allem wirkt die Inszenierung wie eine Mischung aus der Vorstellung einer mittelalterlichen Wandertruppe, einer Zirkusvorstellung und einer bunten, schrägen Revue. Besonders genial ist das Bühnenbild von Ayin Kaip, in und auf dem die Darsteller sich auf mehreren Ebenen bewegen können. Das Holzgerüst verwandelt sich in eine große Zahl von Räumen und dient als Kletterpark für die Figuren. Nicht nur eine schauspielerische, sondern auch eine große körperliche Leistung. Sehr fantasievoll sind auch die Kostüme von Johannes Schrödl, die oft nur mit minimalen Details neue Figuren schaffen. mako89 / theatertogo.wordpress.com
Mehr Eulenspiegel braucht das Land
"Guck dir die Leute an, das dauert Stunden, die wieder aus dem Loch zu ziehen", säuselt Schauspieler Denis Fink am Ende der Vorstellung ins Mikro. Och, so schlimm war 's gar nicht. Okay, da waren viele Tills, viel bitterböser Sarkasmus. Da waren aber vor allem große Spielfreude, respektable Unterhaltung und die allumfassende Aufforderung: Stellt die Dinge in Frage, passt Euch nicht an! In "Gesucht: Till E." [...] entführen uns Margrit Carls und Andreas Seyferth in die Welt der Gaukler und Taschenspieler. Dem Publikum gefällt 's... [...] In dieser Welt sind die Führer die blindesten, es wird Recht gesprochen, aber nicht gehandelt, die Menschen leiden Hunger, die Menschen führen Krieg, Kirche und Klerus baden in Selbstzufriedenheit. [...] Musikus Marcus Tronsberg entlockte zum Teil selbst gebastelten Instrumenten zauberhafte Klänge, die Schauspieler wechseln fliegend Rollen und Kostüme (Johannes Schrödl), klettern in einem fort über die durch Bretter miteinander verbundenen Leitern (Bühnenbild: Aylin Kaip). [...] Immer halten sie uns den Spiegel vor, stellen alle Regeln, jeden Gedanken in Frage. [...] Guido Verstegen / Münchner Merkur
Vital frecher Abschied vom Mittelalter
[...] Till Eulenspiegel findet sich in den Bücherregalen nur noch dort, wo die Literatur für Kinder und Jugendliche steht. [...] Im Theater Viel Lärm um Nichts wollte man dem Phänomen einmal gründlich auf den Grund gehen und stellte, wie auch einer der Fürsten, denen Eulenspiegel diente, die ratlos versonnene Frage: "Was stellt er denn dar? Ist er ein Schalk?"
[...] Aus der multiplen Persönlichkeit formt sich in den Reaktionen auf die Umgebung das Bild eines Menschen, der mit seinem messerscharfen Verstand auch jenen Zeitgenossen überlegen ist, die ihn an Bildung oder gesellschaftlichem Rang überragen. [...] Atmosphärestark, von den bunten Tüchern der Vaganten erhellt und von einer dunklen Epoche geheimnisvoll illuminiert, fabuliert das Viel Lärm um Nichts vom Zauber des Intellekts.
Mathias Hejny / Münchner Abendzeitung
Das Theater Viel Lärm um Nichts sucht Till Eulenspiegel - und findet Klabunds Romanhelden Bracke
Er soll tatsächlich gelebt haben, von 1300 bis 1350, und muss ein rechter Anarchist gewesen sein. Ein um 1510 erschienenes Volksbuch machte seine schlauen, teils sehr bösen Streiche populär und Till Eulenspiegel als literarische Figur unsterblich. Auf dessen Fährte setzt sich das Theater Viel Lärm um Nichts. Aber Andreas Seyferths Inszenierung "Gesucht: Till E." folgt bald nicht mehr dem derben mittelalterlichen Possenreißer, sonderm dem Helden des Romans "Bracke" von Klabund aus dem Jahr 1918. Dieser Bracke ist im 16. Jahrhundert ein äußerst scharf gewitzter Schalk, aber hinter seiner Clownsmaske steckt ein humanistischer Philosoph. [...]
Seyferth schickt seine fünf Darsteller in die Zirkusmanege. Clownesk geschminkt und teils grotesk kostümiert, turnen sie heftig auf den Brettern und Seitenleitern eines großen Holzregals (Raum: Aylin Kaip). Viel mehr braucht dieses komödiantische Theater der armen Mittel nicht - ein Seil, einen Waschbottich, und wenn Blut fließt, genügt ein rotes Tuch. Judith Bopp, Denis Fink, Sven Schöcker, Sebastian Kalhammer sowie der Musiker Marcus Tronsberg spielen alle mal Till und in fliegendem Wechsel die anderen Figuren. Margrit Carls' Textfassung erlaubt einem schwäbischen Bürgerpaar einen Kabarett-Dialog und baut Seitenhiebe aufs Heute ein. Die Anfangsszenen aus dem Volksbuch sind derb und krachert inszeniert, dann regiert die Lust an der satirischen Zuspitzung, die gegen Ende durchaus dem existentiellen Ernst der Vorlage Platz macht. Das regt an, Klabunds heute kaum noch bekannten Roman zu lesen. Es lohnt sich.
Gabriella Lorenz / Münchner Feuilleton
Fotos: Hilda Lobinger