Eugène Ionesco
Premiere 3. Mai 2014
Deutsch von Jacqueline und Ulrich Seelmann-Eggebert Rechte THEATER VERLAG DESCH GmbH
Andreas Seyferth | Margrit Carls
Regie Eos Schopohl
Assistenz Eva Maria Reichert Raum Lucia Nußbächer/Aylin Kaip
Kostüm Johannes Schrödl Ton Wolfgang Obrecht
Licht Jo Hübner
Ein Mann und eine Frau im zarten Alter von etwa Hundert; ein Turm auf einer Insel im Nirgendwo; eine letzte Fete, zu der das Paar die Menschheit geladen hat (zumindest den mit Rang und Reichtum gesegneten Teil), um eine letzte Botschaft (bzgl. Rettung der Welt) zu verkünden, vielmehr verkünden zu lassen von einem Profi-Redner. Die Besucher strömen, die Alten schleppen die Titelhelden herbei, spielen für sich und die Gäste ihre letzten Spiele, bereden die letzten Dinge, tanzen ihr letztes Tänzchen, sogar der Kaiser lässt sich blicken – oder auch nicht: Denn in Wirklichkeit ist da niemand...
Schaurig komisch: Einsamkeit, Größenwahn, Sehnsucht, Ohnmacht, Wort- und Gefühls-Gespinste: sinnlos ins Leere laufend. Doch, Gott (glänzt auch durch Abwesenheit) sei Dank: Wir sind im Theater, alles ist Spiel, und gespielt wird, was uns dem Leben näher bringt: Dem, was darin wirklich und unwirklich, sichtlich abwesend und unsichtbar anwesend ist. Ein Aus-Blick ins Nichts, den Ionesco bietet: Doch vielleicht ist auch das Nichts nur (viel Lärm um) eine Illusion: Alles ist Spiel, und es spielt im Irrenhaus... Der Blick eines "Befremdeten" auf den existentiellen Aberwitz menschlichen Lebens - und ein grandioses Endspiel vom 'Klassiker des Absurden'.
Ich ziehe den Ausdruck des Befremdlichen dem des Absurden vor. Ionesco
Diese beiden Alten sind lächerliche Verlierer der Gesellschaft,
aber zwischen ihnen ist Liebe. Und in dieser Welt gibt es
nur zwei essentielle Dinge: die Liebe und den Tod.
Das heißt: die Liebe kann den Tod töten.
Ionesco
PRESSESTIMMEN
Über die Schönheit des Nichts
[...] Die menschliche Gesellschaft ist gänzlich ideologisch durchorganisiert, nur nimmt der Mensch das nicht mehr wahr, weil die Ideologie zur akzeptierten Daseinsform geworden ist. Sämtliche Ideologien, sie werden auch und vor allem in ihrer verkrusteten Sprache sichtbar, sind nur dazu da, die Urängste zu verwalten und zu handhaben. Eine Urangst, vielleicht die quälendste, resultiert aus der Endlichkeit unserer Existenz. Nichts bereitet dem Menschen mehr Probleme als der Gedanke, nach dem gelebten Leben ins Nichts gehen zu müssen. Keine Ideologie hat sich bisher als tauglich im Umgang mit diesen existenziellen Problemen erwiesen. Kunst sollte in jedem Fall über Ideologien hinausgehen. [...] Genug des philosophischen Exkurses, doch mit nichts geringerem beschäftigen sich die Stücke der Theatermacher des Absurden. So auch "Die Stühle", die zur Premiere am 3. Mai im Theater Viel Lärm um Nichts gerückt wurden. Ein Paar, sie sind seit fünfundsiebzig Jahren verheiratet und im stolzen Alter von (er) fünfundneunzig und (sie) vierundneunzig Jahren, lebt irgendwo auf einer Insel in einem schon etwas maroden Turm. Die Zeit verrinnt im Gleichmaß der Tage, die stets die gleichen Inhalte haben. Auf der grundrissartigen Bühne im Theater der Pasinger Fabrik vertröpfelte sie, um genau zu sein. An den zwei Wänden hinter der Bühne schimmerte eine endlose Wasserfläche. Über der Bühne waren im Karree rostige Zinkdachrinnen angebracht, aus denen es unablässig, vom Paar unbemerkt, tropfte. Der Raum von Lucia Nußbächer war sinnlich und abstrakt zugleich, ideal, um das Spiel des (nur scheinbar) Absurden zu vergegenständlichen, hör- und sichtbar zu machen, frei von vordergründigem Realismus. [...] Nach der überaus gelungenen Premiere im Theater Viel Lärm um Nichts war schwer vorstellbar, dass man die Rollen der Alten anders als mit Andreas Seyferth und Margrit Carls hätte besetzen können. Andreas Seyferth qualifizierte sich bereits mit seiner grandiosen Darstellung des alten Krapp in "Krapps last tape" von Beckett vor gut 12 Jahren. Nun erbrachte auch Margrit Carls den unumstößlichen Beweis ihrer Eignung für die skurrilen Figuren des Theaters des Absurden. Beide gaben ein virtuos kauziges Paar, das in ihrer Komik existenziell und in ihrer (Bühnen-) Existenz irrwitzig komisch war. Ihre Bezogenheit aufeinander und ihre zärtlichen Gesten füreinander waren berührend auch und vor allem in der Komik. Die feingesponnene Inszenierung von Eos Schopohl war ein poetischer Hochgenuss, der einige zauberhafte visuelle Überraschungen bereithielt. Die Regisseurin inszenierte das Stück nicht in der vom Autor vorgesehenen existenziellen Härte, in dem sie den Redner nicht mehr leibhaftig auftreten und die beiden Alten sich mit ekstatischen Bewegungen aus der Geschichte tanzen ließ. Dafür waren die Momente der Melancholie und der (Sprach-) Verwirrung von ganz besonderem Zauber. Im Programmblatt heißt es: Ein magisches Experiment in Sachen theatralische Möglichkeiten! Eben dieses Experiment ist meisterlich gelungen und wer bislang noch immer Probleme mit dem Theater des Absurden hat, sollte diese Inszenierung als Einstiegsdroge nutzen. Derartiges wird sich wohl auch in der hochkarätigen Münchner Theaterlandschaft so schnell nicht wiederholen. Ein letztes wahres Wort von Ionesco zur Aufmunterung: "Wer sich an das Absurde gewöhnt hat, findet sich in unserer Zeit gut zurecht." Wolf Banitzki / theaterkritiken.com
Fotos: Hilda Lobinger