Eugène Ionesco
Premiere 30. April 2015
DIE ANGESTELLTE, DAISY
Melda Hazirci
HANS
Sebastian Krawczynski /
Sebastian Kalhammer
DER LOGIKER, FAU OCHS,
EIN FEUERWEHRMANN
Chris Mancin
DIE HAUSFRAU, FRAU WISSER
Marion Niederländer
DER LADENBESITZER, HERR STECH
Sven Schöcker
DER HERR MIT FLIEGE,
HERR SCHMETTERLING
Alexander Wagner
BEHRINGER
Philipp Weiche
Regie Andreas Seyferth Regieassistenz Lyla Cestier Bühne / Videos Peter Schultze Kostüm Johannes Schrödl Klangdesign Kai Taschner Lichtdesign Jo Hübner Flyer: Martina Körner
Ein idyllischer Sonntagvormittag in einer beschaulichen Stadt. Durch die aus heiterem Himmel ein Nashorn tobt. Und noch eins - oder war 's dasselbe? Und hat es ein oder zwei Hörner? Während die Menschen die Hornfrage debattieren und ansonsten eins sind in der Ablehnung dieses Phänomens ("Das ist doch die Höhe!"), ereignen sich seltsame Verwandlungen... An deren Ende die Rhinozeritis Besitz ergriffen hat von Stadt und Mensch, bis nichts und niemand mehr übrig ist. Doch: Einer hält dem Grauen der fidelen Horden stand: Der letzte Mensch, ein tragikomischer, etwas verwahrloster Held, der sich sein Leben immer schon erträglich saufen musste... Wer infiziert ist, liefert durchaus Argumente für seine Bereitschaft zum Wandel: Man könne die Freunde nicht im Stich lassen, müsse mit der Zeit gehen, Widerstand sei am besten von innen zu leisten; und dann: die ungeheure Kraft dieser Bewegung! - So reißt es einen nach der anderen hin und mit, bis auch die letzte menschliche Sprechblase sich aufgelöst hat in martialisches Schnauben...
Eine fabulös-fürchterliche Farce vom Meister des Theaters des Absurden. Ein Stück über Verrohung und kollektiven Wahn. Und eine Feier des letzten Eigensinnigen, der auf seinem Menschsein besteht.
"Es wird vorbeigehen." Herr Stech
"Die Komik bei Ionesco ist nur [...] das notwendige Mittel, um uns in unseren intellektuellen Gewohnheiten zu erschüttern, in unserem Rationalismus [...]. Wir hätten das legitime Recht, von Panik erfasst zu sein, aber alles, was wir tun können, ist lachen."
Alain Robbe-Grillet
Es ist sehr seltsam. Dieses Stück über die Einsamkeit, über den Individualismus wurde überall gespielt. Es hatte mehr Erfolg als irgendein anderes meiner Stücke. Da hieß es: "Die Massen lieben dieses Stück. Steckt darin nicht eine widersprüchliche Verirrung?" Darauf gebe ich zur Antwort. "Nein." Ich glaube, man liebt dieses Stück überall auf der Welt, weil alle Länder auf der Welt, im Osten wie im Westen, mehr oder weniger kollektiviert sind. Ich habe mehr oder weniger unbewusst den Finger auf ein schreckliches Problem gelegt: die Entpersönlichung. Denn in jeder modernen Gesellschaft sehnen sich die kollektivierten Individuen nach der Einsamkeit, nach einem persönlichen Leben. Das Stück hat in allen Zuschauern den Bérenger [Behringer] geweckt, der in jedem von uns schläft. Das hat J. L. Barrault zu mir gesagt. Wer eine Seele hat, gleicht den anderen nicht. [...] Bérenger ist auf bestimmte Weise die Verkörperung des einsamen Menschen von heute. Eugène Ionesco / Claude Bonnefoy, Bekenntnisse und Gespräche/ Zürich 1969
PRESSESTIMMEN
Die Bilder der Inszenierung von "Die Stühle" noch vor Augen, muss dem Regisseur ein Händchen für das Theater des Absurden bescheinigt werden. Dabei überrascht Seyferth mit jeder Inszenierung aufs Neue, denn seine Ästhetik folgt keinem bewährten Rezept. Für "Die Nashörner" schuf ihm Peter Schultze ein weitestgehend virtuelles Bühnenbild. Einige Caféhaustische waren auf der Spielfläche angeordnet, die von drei Gazevorhängen begrenzt war. Als das Spiel begann, entstand vor den Augen der Zuschauer eine in Comicmanier gezeichnete Kulisse. Diese änderte sich jeweils mit dem Handlungsort. Es war ein bezaubernder Einfall, der nichts zu wünschen übrig ließ. In einem gezeichneten Fernseher ließen sich sogar "Tagesschau"-Nachrichten verfolgen, in denen auch die "Rhinozeritis" zur Sprache kam und in denen von der Ratlosigkeit der Regierung gesprochen wurde. Ratlosigkeit - man kann sie inzwischen als eine der Grundeigenschaften von aktueller Politik bezeichnen.
Die Rolle des Behringer spielte sehr überzeugend und facettenreich Philipp Weiche. Sein Outfit war ziemlich ruiniert, hatte in den nächtlichen Kneipentouren stark gelitten. Die anderen Figuren agierten indes in Anzügen mit leuchtenden Farben, die sich deutlich voneinander unterschieden. Es war die Zeit, in der Individualität noch unangefochten war. Melda Hazirci machte als Daisy in einem leuchtend roten Kleid eine wunderbar anzuschauende Figur. Geleckt und gelackt stolzierten die Bürger der Stadt einher und philosophierten, wie Chris Mancin als Logiker (des Absurden), einem wissbegierigen Herrn mit Fliege, gespielt von Alexander Wagner, die blödsinnigsten Syllogismen erklärend. Sven Schöckers Herr Stech war der unerschütterlichen Überzeugung, dass sich am Ende doch alles stets zum Besten wenden würde: "Es wird vorbeigehen." Widerspruch erfuhr er allerdings von der beflissen-hysterischen Frau Wisser. Marion Niederländers Spiel erinnerte an die Bissigkeit eine Terriers. Sebastian Krawczynski warf seine propere Körperlichkeit in die Waagschale und vermittelte als Hans durchaus anschaulich die Verwandlung eines Menschen in ein Nashorn. Dabei toppte er die verstörenden und bedrohlichen Klänge Kai Taschner (Klangdesign) mit seinen stimmlichen Metamorphosen.
Andreas Seyferth inszenierte klar und gradlinig, auf den Text und die Fähigkeiten seiner Darsteller vertrauend, ohne überflüssiges Beiwerk. Die Selbstverständlichkeit, mit der Absurdes auf der Bühne als Realität verbreitet wurde, machte unmissverständlich deutlich, wie absurd die Realität ist, wenn man diese nur zu schauen vermag. Die fast zwei Stunden vergingen wie im Flug und ließen keine Fragen offen. Auch diese Arbeit war, wie schon "Die Stühle", wenn auch gänzlich anders, so doch gelungen und bewies einmal mehr, dass Ionesco auch als Klassiker der Moderne brandaktuell sein kann. Immerhin unterstellt man den Klassikern allzu häufig durchschlagende Wirkungslosigkeit. Wenn im Theater Viel Lärm um Nichts der verzweifelt und lautstark opponierende Behringer von Unmengen Nashörnern umzingelt ist, heißt das nichts anderes, als dass die Nashörner wieder auf dem Vormarsch sind. Man muss sie nur sehen können. Denn Nashörner sind in diesem Kontext ein Ausdruck für Totalitarismus, der stets auf der Lauer liegt. Er ist omnipräsent und marschiert, heißt auch Monopol oder Freihandelsabkommen, Facebook oder Shitstorm, Pegida oder Religionskampf, Fußball oder Datenspeicherung. Wenn man ganz still ist, kann man sie atmen hören...
Wolf Banitzki / theaterkritiken.com
Fotos: Hilda Lobinger / Frank Strassmann