Die Geschichte eines Pferdes
Musikalisches Spektakel
nach der Novelle "Der Leinwandmesser" von Lew Tolstoi
Premiere 20. Januar 1993
Dramatisierung: Margrit Carls
Regie: Andreas Seyferth
Musikalische Einrichtung: Michael Popp
Choreographie + Licht: Rainer Ludwig
Bühne + Masken: Annabelle Pörtner
Kostüme: Marion Maertens / Antonia Fietz
Technische Einrichtung + Assistenz: Markus Hummel
Leinwandmesser 1 * Wjasopuricha * Mary
Mathieu * Pferde * Rennplatzbesucher
Margrit Carls
Leinwandmesser 2 * Lebet * Gutsherr
Baba * Pferdhändler * Rennplatzbesucher
Matthias Grundig
Leinwandmesser 3 * Tante Muschka
Mily * Pferde
Rainer Guldener
Leinwandmesser 4 * Schauspieler
Bernd Dechamps
Feofan * Fritz * Tante Krasnucha
Stallmeister * Pferde
Andreas Pegler
Taras * Fürst Serpuchowskoj
Tante Dobrochoticha * Pferde
Abdecker * Garderobier
Kai Taschner
General * Knecht * Rennplatzbesucher
Michael Popp
Knecht Kolja * Rennplatzbesucher
Johann Bengen
Live-Musik Michael Popp + Johann Bengen
Der scheckige Wallach schleppte sich mit seinen krummen Beinen, die sich nicht mehr gerade strecken ließen, hinkend hinter der Herde her...
... alt, hässlich, krank, verletzt, traurig: ein wertloses Scheusal, reif zum Abstechen. Die junge Herde stürmt im Galopp heran, quält und prügelt ihn, den Fremden, Erbärmlichen. Eine alte Stute erkennt ihn. Leinwandmesser ("Cholstomer") erzählt die Geschichte seines Lebens: Vom ersten Schluck Muttermilch, dem Entsetzensschrei der Menschen: ein Schecke! von den berühmten Verwandten, der glücklichen Kindheit; vom ersten Kummer, den die Mutter ihm beibrachte; von Freundschaft; vom Wahnsinn der Liebe und wie ein Moment sein Leben veränderte; wie er für immer aufhörte zu wiehern; wie er sich selbst und die Welt verlor und neu fand; von der glücklichsten Zeit seines Lebens bei einem reichen Menschen, der niemanden liebte; vom schönsten Tag, an dem er der Sieger war und alle ihn respektierten; von Zusammenbruch und Krankheit und Verkauf und Qual - und schließlich...
Die ganze Last seines Lebens wurde von ihm genommen! Er staunte...
PRESSESTIMMEN
In den Canyons mit den Marlboro-Mustangs würden sie vor Neid erblassen […]. Wie tumb wirkt doch das abendrotumflutete Hottehü, wie lahm der staubumwölkte Hufschlag im Vergleich zur munteren Bewegungspoesie dieses Hengstes, der in der Pasinger Fabrik herumtrabt und galoppiert, dass die Nüstern zittern. […] Andreas Seyferth [...] hat aus der engagierten Parabel ein fetzig-sentimentales Musical gemacht, und dies ist sehr viel mehr als das im Programmheft angekündigte "musikalische Spektakel". Souverän verknüpft er Sprech- Gesangs- und Tanzeinlagen zu einem stimmungsvollen Szenenreigen. Das gelingt auch deshalb so unterhaltsam, weil er auf eine von Margrit Carls vorzüglich dramatisierte Fassung zurückgreifen darf. [...] Sein wohl schönster Einfall: die Rollschuhe, mit denen er die schwindelfreien Schauspieler durch die romantisch-beleuchtete Pferde-Arena klappern und kreiseln lässt. Sven Siedenberg
Stell dir vor, du bist ein Pferd und kannst Rollschuh laufen, zum Wiehern! Andreas Seyferth hat die Geschichte des gescheckten, sprich minderwertigen, Gauls als fetziges Musik-Spektakel inszeniert, mit stimmigen, anspruchsvollen Gesangseinlagen, nebst toller musikalischer Untermalung. […] Einfach, aber eindrucksvoll die Dramaturgie. Eben noch stampften und rasen die Pferde mit Halfter und wehenden Mähnen über die Bühne, im nächsten Augenblick werden gekonnt beeindruckend leise, fast melancholische Töne angestimmt. […] Das Lachen bleibt einem zu Recht im Hals stecken. Interessant, ideenreich, phantasievoll, engagiert. Muss man sehen. Münchner Stadtmagazin
…ein ganz großer Wurf […] Bühnenbild und Requisiten wirken gleichzeitig realistisch und phantastisch […] eine Sphäre zwischen Wirklichkeit und Illusion. So entsteht ein ungeheuer dichtes Geflecht erlebbarer Bühnenpräsenz – mit einer Spannweite von übermütig rauschhaft bis todtraurig-wehmütig. Diese Inszenierung (mit übrigens durchweg hervorragenden darstellerischen Leistungen) bringt Saiten zum Schwingen, rührt Tiefinneres an [...]. Assoziationen, Gefühle, die mit sprachlichen Mitteln nicht mehr definiert werden können: "Cholstomer" ist absolut sinnliches Theater. Helmar Klier
Braun und Ocker berherrschen den Bühnenraum, ein Baumgerippe wirft schwarze Schatten an die Wand. Annabelle Pörtner schuf ohne viele Versatzstücke ein stimmungsvolles Bühnenbild. [...] Auf Rollschuhen stampfen, scharren, wiehern und schnauben die Darsteller, dass es eine wahre Freude ist. Leichtfüßig und zugleich kraftvoll flitzen sie herum, Eleganz und Anmut in den Bewegungen. Dagegen kommt einem das Spiel der Menschen wie Kasperltheater vor. [...] Schlüssige Dramatisierung [...] atmosphärisch dichte Szenen [...]. Christiane Wechselberger
[...] Einfach schade! Die so simpel verkürzte und verreimte Story macht sich wie ein triefender Fleck breit auf Andreas Seyferths lustiger und spielverliebter Inszenierung. [...] Tollschöne Lappenkostüme [...] Bernd Dechamps als alter Gaul, in Würde gebeugt, erzählt fast so listig abgründig wie Minetti seine Märchen. [...] Ach, hätte man doch ein reines Kinderherz und dürfte an den Gesang der Pferde glauben. Diesmal hat es "Viel Lärm um Nichts" gut gemeint und gut gemacht. Dazwischen gähnt ein scheckiger Fleck. Ingrid Seidenfaden
[...] ein Musical - ein böse kritisches dazu, ist doch der alte Gaul nichts anderes als der ewige Fremde - angefeindet von den übrigen Pferden und links liegengelassen von den Menschen. Und jedesmal, wenn man sich in die Tumulte des Pferde- und Menschenlebens eingelacht hat, folgt gleich der Schlag in den Nacken [...] als ein Hauch von der Bitterkeit des Lebens. [...] Großer Applaus [...]. Thomas C. Becker
[...] Eine anrührende Parabel auf Außenseiter, Fremdartige, ausgestoßene [...]. Zu sehen ist eine kleine Attraktion [...]. Die Schauspieler - sie sind exzellente Rollschuhläfer und lustvolle Musiker zugleich - [...] grasen mit viel Spielwitz ertragreich auf der Theater-Koppel. [...] Sabine Dultz
[...] In pittoreskem Pferdekostüm auf Rollschuhen die schönen Tierchen, schnaubend und wiehernd, doch ganz menschlich: die brünftige Pferdemama, die Tanten als Gogo-Girls, hufeschmeissend und "scheckig ist schön" flötend, und pubertierende Rocker mit Ausgrenzungsritualen. Echt tierisch dagegen die Menschen mit Halbmasken: Brechts Shui Ta gekreuzt mit dem Phantom der Oper. Und alle sind nur auf Profit und Vergnügen aus: Pferderennen und rasante Kutschfahrten mit Champagner-Orgien, hinreissend von der jungen Mannschaft gespielt. [...] Regisseur Seyferth findet starke Bilder mit komischer Verfremdung: Witz, Tempo und Phantasie machen "Cholstomer" zum kurzweiligen Vergügen. Barbara Welter
Die Originalität und die Liebe zum Detal in Maske, Regie und Ausführung machen Andreas Seyferths Inszenierung zum Erlebnis. Die Darstellung der Pferde ist brillant, weil vollkommen glaubhaft. [...] Dabei geht es stets rund auf der Bühne, leise Poesie weicht musicalartigen Tanz- und Gesangseinlagen, ständiger Rollenwechsel ohne Verwirrung - mit "der Geschichte eines Pferdes" ist dem Ensemble beieindruckendes Theater gelungen, ohne dass Tolstojs Novelle verlorengeht. Christian Maier
Fotos von Janine Guldener/Ingrid Theis